Hanauer Künstlerin schenkt der OHS ein Kunstwerk

Die Hanauer Künstlerin Franziska Haslinger begegnet ihrem ersten Werk im öffentlichen Raum wieder und erschafft es neu

Ein kleiner Kreis von kunstinteressierten Abiturienten brütete im Januar mit Oberstudienrätin Elke Conert über der Frage, was es eigentlich braucht, um ein Objekt zum Kunstwerk werden zu lassen, als die Lehrerin auf ein zeitgenössisches Kunstwerk nur wenige duzend Meter vom Klassenraum entfernt verwies. Dort im Treppenhaus des Oberstufengebäudes der Otto-Hahn-Schule hing seit Eröffnung des Gebäudes im August 1983 ein Werk der Hanauer Künstlerin Franziska Haslinger.
Sie hatte von dem damaligen Direktor der Otto-Hahn-Schule, Hermann Körner, im Rohbau des Treppenhauses die Gelegenheit erhalten mit Skulptur, Architektur und Bewegung zu experimentieren. So entwickelte sie in Begleitung zur Fertigstellung des Gebäudes ein ortsspezifisches Werk - ein Ensemble aus architektonisch Vorgefundenem und von ihr im Geist des Konstruktivismus Hineingesetztem: den „Roten Faden“.
Ein rechteckiger Keilrahmen war mit ungrundiertem Nesselstoff fast im Farbton der dahinter liegenden Betonwand bespannt. Auf diese Scheinwand löste sich aus dem roten Band der Wand ein halb so breites blaues Band in einem Auf und Ab von Diagonalen. Ungewöhnlich daran war, dass zwei dreiecksförmige Einschnitte im Stoff den Blick frei gaben auf das auf der tatsächlichen Wand verlaufende architektonische rote Band. Nach vorne und hinten überlappender Stoff sorgte für Dreidimensionalität und ein Spiel von Licht und Schatten. Ebenfalls ungewöhnlich waren drei Nähte als graphische Elemente, und zwar nicht in Rot, wie der Titel hätte vermuten lassen, sondern in Weiß. Die Nähte akzentuierten die Illusion der Faltung des blauen Farbbandes. Es war das erste Werk der Künstlerin im öffentlichen Raum, dem erst 1990 ein Wandrelief für den Neubau des Ordnungsamtes in der  Steinheimer Straße folgte.
Als die jungen Kunstsinnigen dieses Jahr den „Roten Faden“ in Augenschein nahmen, fiel ihnen dessen erbärmlicher Zustand auf. Nach bald 35 Jahren hatte sich Staub auf das Werk gesetzt, der Nesselstoff hing durch, Aufkleber verunzierten den schützenden Plexiglasrahmen. Schnell war der Kontakt mit der Künstlerin hergestellt. Auf Seiten der Schule bestand der Wunsch das Werk unter ihrer Anleitung zu säubern. Doch der agilen, mittlerweile über 80 Jahre alten Dame stand etwas ganz anderes vor Augen - die Neuschöpfung ihres Werkes aus dem Geist ihrer in der Zwischenzeit weiter entwickelten künstlerischen Haltung der Konkreten Kunst, und zwar unter Mithilfe der jungen Leute. Frau Haslinger hat nämlich in ihrer anerkannten Privatschule in ihrem Hanauer Atelier schon Generationen von jungen Leuten auf ein Studium der freien Künste vorbereitet. In die Idee zu einem Kunstwerk lässt die Künstlerin sich zwar nicht hineinreden, die Ausführung jedoch kann auch in die Hand von Schülern gelegt werden.
So trafen sich die Abiturienten mit ihrer Lehrerin und Frau Haslinger zunächst in der Schule, betrachteten alte Schwarzweißfotografien, die die Entstehung des „Blauen Bandes“ dokumentieren, und hatten die einmalige Gelegenheit, eine echte Künstlerin auszufragen. Dann zogen wir in ihr Atelier weiter, um uns mit ihren Planungen und Skizzen für das neue Werk zu beschäftigen. Schließlich durften Anna Kushnir, Annika Wenzel und Devlet Aydin selbst Hand anlegen. Mit Farbrollen walzten sie hell- und dunkelrote Farbe auf Spanholzleisten und bereiteten die Wand in der Schule farblich neu vor. Während der Trocknungszeiten der Farbe gab die Künstlerin weitere Einblicke in ihr Kunstverständnis und hielt Übungen zur Schulung des Sehens ab. Sie beantwortete auch unsere Ausgangsfrage, was Kunst sei.  Aufgabe der Kunst ist es einen geistigen Erkenntnisprozess materiell vorzubereiten.
Frau Haslinger hat ihr ganzes künstlerisches Leben der Erforschung des Zusammenspiels von Form und Farbe im Raum gewidmet. Dafür wurde sie 2002 mit dem Kulturpreis des Main-Kinzig-Kreises gewürdigt, den besonderer Weise auch beide ihre Eltern schon für ihr künstlerisches Werk erhalten hatten. Bis Ende Mai konnten wir uns in der Offenbacher Galerie „Sight“ einen Eindruck ihres äußerst produktiven Schaffens der vergangenen Jahre machen. In der Galerie waren große geometrische Wandreliefs zu sehen, die in ihrer vielstimmigen Farbigkeit und unter Einbeziehung einer raffinierten Beleuchtung und Schattenbildung einen großen sinnlichen Genuss boten.
Endlich kann der Tag der Montage der Holzleisten zu dem neuen Werk „Spot“ in der Schule unter Mithilfe der Hanauer Firma Brüggemann Innenausbau GmbH. Anliegen dieses Werkes der Konkreten Kunst ist, es den Blick für real Vorhandenes zu schärfen. Beim Betreten des Treppenhauses im Oberstufengebäude geleitet das rote Band die Besucher die Treppe hinauf. Doch dort unter dem Plexiglaskasten wird das rote Band umorientiert, was für einige Momente unsere Aufmerksamkeit beansprucht. Die Monotonie des zweidimensionalen roten Bandes wird unterbrochen. Ein Richtungswechsel wird vorgenommen. Aus der Waagerechten wird zweimal diagonal gefaltet eine Senkrechte. Das Band löst sich aus der Fläche der Wand, wird dreidimensional. Es hat nun eine Lichtseite in Hellrot und eine Schattenseite in Dunkelrot. Viele verschieden große Dreiecke bilden sich im Hinter- und Vordergrund. Schließlich entdeckt man ein vielstimmiges Quadrat, dessen Mittelpunkt der Schlüssel für das Verständnis des streng metrischen Gefüges ist.
Wie lässt sich an „Spot“ ein gegenüber 1983 weiter entwickeltes künstlerisches Vokabular ablesen? Es wird nun auf jeglichen Illusionismus verzichtet. Wir haben es nicht mehr mit einem traditionellen Tafelbild zu tun. Die Wand des Treppenhauses selbst wird zum Hintergrund des geometrischen Gefüges aus fünf Spanplatten, das jetzt als Relief selbst Raum entstehen lässt. Licht und Schatten sind wirklich. Die Farbe hat keine industrielle Anmutung mehr, sondern spielt nun dünnflüssiger mit der Oberfläche des Rohspans zusammen, wirkt wärmer und fügt sich harmonischer in den realen Raum ein. Der Titel „Spot“ ist prägnant und zeitgemäß. Ein Punkt, ein Fleck, eine Stelle ist gemeint und gleichzeitig die Tätigkeit des Bemerkens, des Entdeckens, des Dahinterkommens, was hier vor sich geht. Es ist schließlich Kunst - die sinnreiche Vorbereitung eines geistigen Erkenntnisgewinns.

Auf der Konferenz der Lehrer zum Abschluss des Schuljahres am 21. Juni schenkte Frau Haslinger der Schulgemeinde der Otto-Hahn-Schule ihr neues Werk. Herr Studiendirektor Häfele würdigte den Werdegang dieser so konsequent ihr künstlerisches Vokabular entwickelnden Hanauer Persönlichkeit. Ihr selbst war es eine große Freude, nun auch der Otto-Hahn-Schule ein frisches Objekt übergeben zu haben, nachdem die Hola und die Karl-Rehbein-Schule ebenfalls schon Werke von ihr erhalten hatten. Im Jahr 2016 hatte die Stadt Hanau der Hola die Skulptur AnDACHt, mit der Frau Haslinger  die Bombennacht vom 19. März 1945 verarbeitet, geschenkt. Die Karl-Rehbein-Schule besitzt ein Porträt  der Hanauer Widerstandskämpferin Dr. Elisabeth Schmitz aus der Hand der Künstlerin.
 
Bildunterschriften:
Mai 2018 - Frau Haslinger er-läutert ihre Vorarbeiten zum neuen Werk.
Juni 2018 - zwei Abiturienten bereiten die Wandfläche im Oberstufengebäude für das neue Werk vor.
15. Juni 2018 - das neue Werk wird von Frau Haslinger vor Ort installiert.
Franziska Haslinger: „Spot“ Juni 2018, lasierter Rohspan, 110 x 156 cm, Konkrete Kunst.